Wir trafen die Buchautoren Gerald Morgenstern und Hans-Jürgen Kugler, um gemeinsam in die Zeit um das Jahr 1938 zurückzublicken – für viele unserer Vorfahren eine Zeit des Umbruchs, der neuen Wege und alten Sehnsüchte. Wie seinerzeit alles begann, was geschah und wohin die Wege der einst Umgesiedelten führten, lässt uns auf eine interessante Spurensuche gehen.
Der sogenannte „alte Platz“ wurde im Jahr 1910 zur Zeit der „königlich bayerischen Armee“ eröffnet. Zu dieser Zeit gehörte die Fläche gebietsmäßig weitgehend zum Landkreis Eschenbach, 1938 erfolgte unter Adolf Hitler die flächenmäßige Erweiterung des Truppenübungsplatzes, welche bis an den Ortsrand von Auerbach reichte. 85 Prozent der Übungsplatzfläche wurden dann schlussendlich im Jahr 1972 standesamtlich Grafenwöhr zugeschrieben.
Heute ist Grafenwöhr infolgedessen flächenmäßig die zweitgrößte Stadt Bayerns, worauf vor allem Bürgermeister Edgar Knobloch stolz ist. Der Truppenübungsplatz wird seitens des amerikanischen Militärs nach dem Natotruppenstatut und Zusatzabkommen belegt. Er ist dadurch nach deren eigenen Regeln nutzbar und ermöglicht Schießzeiten fast rund um die Uhr.
Mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 veränderten sich jedoch die Vertragsinhalte mit etwaigem Zusatzabkommen. So unterliegt die gesamte Fläche dem Fauna-Flora-Habitat-Schutz, was bedeutet, dass alle dort stattfindenden baulichen Maßnahmen nach deutschem Baurecht behandelt werden müssen.
Es begann alles mit dem königlich bayerischen Schießplatz Grafenwöhr, dem sogenannten dritten Armeekorps, für welchen rund 240 Einwohner umgesiedelt wurden. Die weitaus größere Umsiedlungsmaßnahme von über 3500 Menschen fand bei der Erweiterung des militärischen Übungsgeländes 1938 statt. Zur Gründung 1910 existierte ein großes Weihergebiet, dort befand sich auch der Röthelweiher. Dieser Weiher lief trocken und es herrschte ein großes Sumpf- und Torfgebiet vor. Die Besiedlung war daher sehr spartanisch, bis auf ein paar kleine Weiler wie zum Beispiel Hirschmühle oder Wolfslegel. Interessant ist jedoch, dass aus dieser Gegend eine der ersten Glashütten stammt: Die „Annahütte“. Die Menschen lebten von der Glasherstellung und bezogen die für die Produktion benötigten Materialien wie den feinen Quarzsand aus Pappenberg. Die erste Absiedelung ging relativ unspektakulär vonstatten. Das dafür gewonnene Areal reichte anfangs auch flächenmäßig als Schießplatz völlig aus. Die Ausweitung des Militärgebiets erfolgte erst später während des Dritten Reiches. Durch Erzählungen einer Bäuerin weiß man, dass Adolf Hitler schon vor seiner Machtübernahme auf dem Netzaberg im „Gasthof zur schönen Aussicht“ quartierte und bereits Erkundigungen über mögliche militärische Übungsflächen einholte. Erhaltene Fotografien wie etwa von seiner Ankunft auf dem Lagerbahnhof zeugen von seinen Besuchen und Aktivitäten in Grafenwöhr.
Wenn man die Gegend genauer betrachtet, stellt man schnell fest, dass die vorherrschende Geländestruktur für die Erweiterung der militärischen Anlage perfekt geeignet war. Nach einigen Planungen legte man sich schnell auf das sogenannte „Grafenwöhrer Becken“ fest. Vom Netzaberg und Schwarzenberg umrandet, zeichnet es sich durch ein sehr flaches Gebiet aus – dieses Gebiet war schon 1910 Übungsplatz.
Seinerzeit gab es drei zentrale Ortschaften der Absiedelung, nämlich Pappenberg, Haag und Hopfenohe. Die Reichsumsiedelungsgesellschaft, eigens zu diesem Zweck vom Deutschen Reich gegründet, löste die ansässigen Einwohner von ihren Höfen und Häusern ab – ein Unterfangen, das nicht zu unterschätzen war. Die größte Absiedelungsmaßnahme dürfte den Ort Haag mit seinen einst 500 Einwohnern getroffen haben. Das Dorf mit kleinstädtischem Charakter zeigte sich schon seinerzeit mit zweistöckigen Häusern, präsentierte sich mit der großen Kirche St. Veit stattlich und war mittels der durchführenden Reichsstraße B85 viel belebt. Einblicke in das Dorfleben und die Absiedelung zeigt ein 1938 vom damaligen Lehrer Paul Huber gedrehter Schwarz-Weiß-Film. Die Reichsumsiedelungsgesellschaft RUGES stellte für die Umsiedler Lastwagen zur Verfügung, die deren Hab und Gut abtransportierten. Den Betroffenen bot man Grundstücke, komplette Bauernhöfe oder Bargeld zum Ausgleich an. Im Nachhinein waren jedoch diejenigen besser gestellt, die auf Grund und Boden gesetzt hatten, da mit der später folgenden Währungsreform die Barvermögen entwertet wurden. Viele Pappenberger verschlug es nach Wolfskofen, im Landkreis Regensburg gelegen. Die landwirtschaftlichen Gründe des Fürstenhauses Thurn und Taxis im Regensburger Raum wurden vom Reich einkassiert und den vertriebenen Landwirtsfamilien zum Ausgleich angeboten. Für diese neuen Grundstückeigner war es materiell kein schlechter Tausch, da ihre Felder und Wiesen nun direkt um ihre Bauernhöfe lagen. Menschlich hingegen wurden die „Auswärtigen“ aber von den ansässigen Einheimischen abgelehnt, man wollte sie nicht im Ort haben. Der Neid auf die Zuwanderer war groß. Aus Recherchen weiß man, dass die Reichsumsiedelungsgesellschaft bereits 1935 begann, Bauernhöfe und Häuser zu fairen Preisen aufzukaufen. Verkaufsverweigerer lenkte man mit Aussagen wie „Wenn du nicht gehen willst, bekommst du Zeit, dich in einem Lager zu konzentrieren“ in die gewünschte Richtung. So blieben auch erzwungene Enteignungen nicht aus.
1958 entstand nach dem Roman „Zeit zu lieben, Zeit zu sterben“ von Erich Maria Remarque ein amerikanischer Kriegsfilm des Regisseurs Douglas Sirk. Neben internationaler Besetzung wirkten im Film auch der Romanautor und deutsche Filmstars wie Lilo Pulver, Dieter Porsche, Barbara Rütting und Klaus Kinski mit. Besonders gut in dem Film ist die Kirche der ehemaligen Ortschaft Hopfenohe und das Hammerschloss Altenweiher zu sehen, welches zu dieser Zeit noch ein herrschaftliches Anwesen darstellte. In Hopfenohe steht heute noch die gesicherte Ruine der Kirche, das Hammerschloss ist ganz vom Erdboden verschwunden. So erging es den meisten der Ortschaften, die vorhandenen Gebäude in den Dörfern wurden nach dem Krieg freigegeben um dort Baumaterial für die Errichtung neuer Bauten zu gewinnen. Es ist heute sogar teilweise ersichtlich, auf welche Reisen manche Türen, Fensterstöcke oder Dachziegel gingen. Ein Paradebeispiel sind die außergewöhnlichen Firstziegel des früher bekannten Gasthofes „Zur schönen Aussicht“ auf dem Netzaberg. Diese Ziegel mit „Drachenzähnen“ findet man noch heute auf einem Haus im Dörflein Trag bei Eschenbach. Auch vom Kirchturm aus Dornbach ist heute leider nichts mehr vorhanden. Er fiel 1972 den Dreharbeiten zum Spielfilm „Die Verletzung“ zum Opfer und wurde extra für eine Filmszene in die Luft gesprengt.
Ein Stück weit sind wir nun den Weg zurückgegangen, der einst in die Heimat einiger unserer Großeltern führte. Was wir von dieser Reise mitnehmen, ist die Erkenntnis, dass der endgültige Abschied von der Heimat selten leicht fällt, auch wenn er noch so gut entschädigt wird.